Falls Du dich öfters für einen Versager, Hochstapler oder Dummkopf halten solltest und diese negativen Selbstzuschreibungen ablegen möchtest – weil sie garantiert selbstzerstörerisch und toxisch sind – dann solltest du einige der folgenden Verhaltensweisen und Einstellungen einfach mal stumpf auszuprobieren. In diesem Blog-Beitrag geht es darum, wie Du dich aus deiner Lebensfalle, dem sogenannten „Unzulänglichkeitsschema“ befreien und dich auch mit deinen Schwachstellen annehmen und lieben lernen kannst.
Hebel Nr. 1: Konzentriere dich bewusst auf deine positiven Seiten
Wenn Du gewohnheitsmäßig das Negative bei dir suchst, braucht es zusätzliche mentale Anstrengung und Willenskraft, um deine Aufmerksamkeit in Richtung deiner positiven Aspekte zu lenken. Gewohnheiten abzulegen und neue aufzubauen braucht Zeit und Motivation. Die gute Nachricht ist, dass Du
die Macht hast, dein Gehirn entsprechend umzuprogrammieren. Du musst es dir allerdings wirklich fest vornehmen, in Zukunft genau darauf zu achten, wohin du deinen Blick richtest und, falls notwendig, bewusst gegensteuern. Auch brauchst du einen Plan, wie Du diese wichtige Fähigkeit solange entwickeln und trainieren kannst, bis sie zu einem festen Bestandteil deines mentalen Repertoires geworden ist. Konzentriere dich also von nun an nicht mehr auf deine Fehler und Unzulänglichkeiten, sondern schenke den Aspekten deiner Person bewusst Aufmerksamkeit, mit denen Du dich gut fühlst. Und zwar viel mehr Aufmerksamkeit!
Tägliche Übungen gegen deinen selbstbezogenen Negativitätsbias
Um diese neue und vielleicht „unbequeme“ Denkrichtung zu trainieren, mache es dir zur Gewohnheit, am Ende des jeden Tages drei Dinge aufzuschreiben, die Du an dir selbst magst und wertschätzt. Dabei kann es sich sowohl um körperliche als auch um charakterliche Eigenschaften oder andere Aspekte deiner Identität und deines Verhaltens handeln, mit denen Du zumindest zufrieden bist oder einmal warst. Mach das konsequent eine Woche lang. In der nächsten Woche schreibst du 6 Dinge (Eigenschaften, Verhaltensweisen, etc.) auf, die du an dir magst. Und in der darauffolgenden Woche 9 Dinge. Vielleicht sind die Dinge, die Du aufschreibst, immer dieselben. Vielleicht fallen dir jedes Mal, wenn Du die Übung machst, neue Eigenschaften oder Verhaltensweisen ein. Das spielt keine Rolle, solange Du sie aufschreibst.
Vielleicht wird es dir an manchen Stellen des Prozesses schwerfallen, dir etwas einfallen zu lassen. Versuchen Du es trotzdem! Falls dir Gedanken in den Kopf kommen sollten, die es dir erschweren, deine Stärken und Vorzüge anzuerkennen, nimm ein weiteres Blatt oder öffnen ein anderes Dokument und schreib die negativen und wenig hilfreichen Gedanken ebenfalls auf. Schreib sie dir von der Seele. Immer in dem Bewusstsein, dass es eine alte Angewohnheit ist, dich selbst schlechtzureden und nach Beweisen zu suchen, die dein negatives Selbstbild bestätigen.
Wenn Du nach drei Wochen 7×3 + 7×6 + 7×9 = 126 Mal etwas Gutes über sich selbst aufgeschrieben haben wirst, nimm dir einen Moment Zeit und lies alles laut vor. Nutze beim Vorlesen eine bewusst sanfte und ermutigende Stimme. Stell dir vor, Du sprichst mit deinem inneren Kind, das in der Vergangenheit von bestimmten Menschen und Ereignissen unterdrückt und negativ beeinflusst wurde. Fühle den Schmerz des Kindes, das du mal warst, und stell dir vor, dass all die positiven Gedanken über dich wie Wassertropfen sind, die Du deiner inneren Blume gibst, die wachsen und gedeihen möchte. Nachdem Du das getan haben, öffne das Dokument, auf dem Du deine negativen selbstbezogenen Gedanken notiert hast. Betrachten es mit Mitgefühl und erinnern dich daran, dass es sich um falsche oder verzerrte Bilder von dir selbst handelt, die in einem toxischen Umfeld entstanden sind und heute keine Bedeutung mehr haben müssen.
Hebel #2: Unzulänglichkeiten akzeptieren und auf den Kontext achten
Hast du jemals über den Bezugsrahmen nachgedacht, den Du verwendest, um den Wert bestimmter Aspekte deiner Persönlichkeit zu messen oder zu beurteilen? Mit wem oder was vergleichst Du dich eigentlich? Und wer entscheidet letztlich darüber, wer als guter oder schlechterer Mensch gelten darf bzw. welche Qualitäten gewünscht oder unerwünscht sind? Erlaube dir, einen Moment lang, deine Schwächen und Unvollkommenheiten anzuerkennen. Mach dir gleichzeitig bewusst, dass niemand auf diesem Planeten perfekt ist. Das Konzept der „persönlichen Schwäche“ beinhaltet immer ein Urteil, das in einem bestimmten sozialen Kontext gefällt wird, in dem eine Eigenschaft als Stärke und eine andere zur Schwäche deklariert wird. Ich möchte dir einige Beispiele von Qualitäten nennen, die auf sozial konstruierten Urteilen basieren.
Lass uns ein Gedankenexperiment machen:
Stell dir vor, Du hast ein Problem damit, dass Du oft zu offen und ehrlich bist und Probleme hast, dich zu verstellen, wenn es nötig erscheint. Tatsächlich gibt es soziale Umfelder wie PR-Agenturen, C-Level-Managements und Nachrichtendienste, in denen eine solche Charaktereigenschaft als Schwäche angesehen werden würde. In vielen anderen beruflichen Kontexten und auch in Liebesbeziehungen sind Offenheit und Ehrlichkeit jedoch in der Regel positive Eigenschaften, die mit beruflichem Erfolg und persönlicher Erfüllung verbunden sind. Oder ein anderes Beispiel: Stell dir vor, Du neigst dazu, immer sehr direkt zu sein und nicht die Fähigkeit zu besitzen, Dinge zu beschönigen. In deiner Kultur oder deinem Umfeld wird Direktheit vielleicht als Schwäche angesehen, weil Du als unhöflich und unflätig giltst. In anderen Kulturen oder Umfeldern würde dein vermeintlicher oder zugeschriebener Makel jedoch als Stärke angesehen werden. In den Niederlanden und anderen Kulturen, in denen man sehr direkt kommuniziert, schätzt man im Gegensatz zu vielen kollektivistischen Kulturen zum Beispiel Direktheit und die Fähigkeit, „seine eigene Meinung zu vertreten“.
Wie Du siehst, kann eine Schwäche, je nach Ihrem Bezugsrahmen, als Stärke ODER als Schwäche erscheinen. Jedes Mal, wenn Du dich wegen eines Verhaltens oder einer Eigenschaft schlecht fühlst, solltest Du eine einfache mentale Übung durchführen: versuche dir auszumalen und Hypothesen aufstellen, unter welchen Umständen deine Schwäche als Stärke angesehen werden könnte. Suche solange nach einem hypothetischen Kontext, in dem dein Verhalten oder deine Eigenschaft als positiv wahrgenommen werden würde, bis Du einen gefunden hast. Wenn Du deine Fähigkeit trainierst, zwischen verschiedenen Kontexten zu wechseln, in denen du ein bestimmtes Merkmal von dir bewertest, wirst Du mit großer Wahrscheinlichkeit bald spüren, wie befreiend diese Art des Denkens sein kann. Vor allem, wenn Du dir zunehmend gestattest, die Frage zu stellen, ob ein Umfeld zu dir passt, und nicht ob Du in ein Umfeld passt. Fang jetzt damit an!
Hebel #3: Negative Selbstwahrnehmungen mitteilen und Feedback einholen
Hier geht es darum, wie Du dich selbst durch die Augen anderer wahrnimmst. Dabei geht es um die Tatsache, dass man dich nicht unbedingt weniger mag, nur weil Du Schwächen hast. Interessanterweise hat die Forschung gezeigt, dass Menschen, die Probleme zugeben und mit anderen über ihre Defizite sprechen können, in der Regel länger anhaltende und tiefere Freundschaften entwickeln können, als jene, die versuchen ihre Schwächen zu verbergen. Das liegt daran, dass Selbstoffenbarung grundsätzlich das gegenseitige Vertrauen und die emotionale Nähe zwischen Menschen fördert. Da die wahrgenommene wenn auch vermeintliche Perfektion anderer ziemlich einschüchternd wirken kann, fühlen sich deine Gesprächspartner möglicherweise sogar unter Druck gesetzt, die hohen Standards zu erfüllen, die sie bei dir wahrnehmen.
Deshalb hier dein Quest: Sprich täglich über mindestens eine Sache, die dich an dir selbst stört. Versuche von nun an und für die nächsten 10 Gelegenheiten, bei denen Du einer vertrauenswürdigen Person begegnest, mindestens einen Aspekt von dir zu nennen, der dich an dir verunsichert. Da sich deine Gesprächspartner höchstwahrscheinlich in dich einfühlen können, dir deine Offenheit danken und an ihre eigenen inneren Kämpfe erinnert werden, kann es gut sein, dass sie anfangen, sich selbst dir zu offenbaren. Das gegenseitige Teilen von Aspekten, mit denen man sich verletzlich fühlt, stärkt nicht nur die emotionale Bindung, sondern auch die Fähigkeit, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Akzeptanz und Veränderung dessen zu entwickeln, was man über sich selbst denkt. Da dir andere helfen können, vermeintlich negative Aspekte deiner selbst in ein anderes wohlwollenderes Licht zu rücken, können solche Begegnungen und bewussten Selbstoffenbarungen dazu beitragen, dass du erkennst, dass du in Wirklichkeit viel besser bist, als Du denkst, und dass Du endlich anfangen kannst, dich zu entspannen.
Hebel #4: Sich erlauben Fehler zu machen und sich „mit Absicht“ schämen
Basierend von deinem Entschluss, dich von der Maske zu befreien, hinter der du dich lange verborgen hattest, kannst folgende Übung machen, die dich vollends von unnötiger Scham und sozialer Gehemmtheit befreien sollte:
Denk an bestimmte Verhaltensweisen, die dir peinlich wären, wenn Du sie in der Öffentlichkeit zeigen würdest. Überlege, was Du tun könnten, um das Gefühl der Scham und Peinlichkeit gezielt und absichtlich auszulösen, ohne deinem Ruf tatsächlich zu schaden. Fertige eine Liste an: Was ist die schwierigste und die leichteste schamerzeugende Situation, die Du dir vorstellen könntest bewusst herzustellen? Stelle eine Rangfolge auf. Beginne mit der am leichtesten und ende mit der schwierigsten Situation. Erzeuge mindestens eine schambehaftete Situation pro Woche über einen Zeitraum von 8 Wochen. Suchen nach Orten und Gelegenheiten, bei denen Du dir sicher sein kannst, dass die Übung für dich rational nicht nachteilig sein könnte.
Während Du die schamauslösende Handlung ausführst, beobachte aufmerksam, was in deinem Körper und Kopf vor sich geht. Bemerke alles mit Neugierde und genieße die befreiende Wirkung, die sie auf deine Seele haben wird. Es ist wie eine „soziale Sauna“ in der du all das Toxische ausschwitzen kannst. Wenn Du etwas Inspiration für dein Portfolio an „Shame-Attacking-Exercises“ brauchst, hier sind einige Beispiele aus meiner verhaltenstherapeutischen Praxis:
- Leg im Supermarkt viele Artikel auf das Band, lass einem nach dem anderen scannen und bemerke am Ende, dass Du deine Brieftasche vergessen hast.
- Geh ins Restaurant und sage der Service-Kraft, dass dir das Gericht überhaupt nicht schmecke und bitte um ein anderes Essen oder den Verzicht auf deine Bezahlung.
- Frage einen Mitarbeiter in einem Supermarkt oder einem anderen Geschäft nach dem Standort eines bestimmten Produkts, vor dem du direkt stehst.
- Verschütte etwas in einem Restaurant oder Geschäft oder lass etwas fallen und bitte das Personal, dir zu helfen.
- Gehe mit verschiedenen Schuhen in die Öffentlichkeit
- Mache bewusst Rechtschreib- und Tippfehler in eine E-Mail oder Nachricht, die Du an Kollegen oder Freunden verschickst.
- Fragen einen Fremden auf der Straße nach dem Weg.
- Bitten einen Nachbarn um einen Gefallen, usw.
Wenn Du all deine Punkte von der Liste deiner persönlichen Shame-Attacking-Übungen abgearbeitet hast, wirst Du die Weisheit dieses Sprichworts wirklich verstehen: Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert 😊.